Viele Job-Kandidaten werden von Firmen mittels einer Software ausgesiebt. Auch Schweizer Arbeitgeber setzen zunehmend auf digitale Filter-Systeme.
Jobsuchende denken beim Schreiben einer Bewerbung normalerweise an einen Menschen in der Personalabteilung, der ihre Unterlagen im besten Fall wohlwollend prüft. Doch immer öfter entscheidet eine Software, welcher Kandidat es in die engere Auswahl schafft.
Sogenannte Applicant-Tracking-Systeme (ATS) analysieren Online-Bewerbungen und Lebensläufe auf bestimmte Inhalte. Nicht alle Bewerber haben Freude am HR-Roboter: In den USA wollen abgelehnte Job-Kandidaten den Anbieter einer solchen Filter-Software vor Gericht bringen. Sie seien systematisch benachteiligt worden.
Firmen wollen Effizienz steigern
In den USA setzten mittlerweile fast alle grossen Unternehmen auf ATS. «In der Schweiz werden sie noch etwas weniger eingesetzt, haben sich aber in den letzten Jahren stark verbreitet», sagt Reto Rüegger, Gründer der Firma Softfactors.
Das Schweizer Start-up bietet selbst eine Software im Bereich der digitalen Rekrutierung an. Die Gründe für die Verbreitung von Bewerbungs-Software lägen auf der Hand: «Da geht es ganz klar um Effizienzsteigerung – wenn ein Unternehmen für eine Stelle mehrere Hundert Bewerbungen erhält, kann es diese Masse gar nicht mehr anders bewältigen», so Rüegger.
In der Schweiz würden praktisch alle Grossfirmen auf digitale Bewerbermanagement-Systeme setzen. «Die meisten haben einen sogenannten CV Parser integriert – diese Technologie ist am meisten verbreitet», erklärt der Firmengründer. Beim CV Parsing durchsucht die Software die eingereichten Lebensläufe etwa nach dem Namen des Bewerbers, aber auch nach Schlüsselbegriffen, Titeln und Daten. So findet der Bewerbungsroboter beispielsweise heraus, wie gross und wie relevant die Erfahrung des Bewerbers für eine offene Position ist.
Umstrittenes System
Die Methode ist umstritten, wie die Klagen von abgewiesenen Bewerbern in den USA zeigen. Auch Software-Experte Rüegger ist «gar kein Fan davon», wie er zu 20 Minuten sagt: «CV Parsing ist einfach zu ungenau.»
Die Gefahr für Bewerber liegt darin, dass sie beispielsweise wegen fehlender Schlüsselwörter fälschlicherweise aussortiert werden – obwohl sie eigentlich zum Stellenprofil passen würden. «Die Systeme beziehen nur nackte Fakten wie Berufserfahrung und Bildung ein, nicht aber die Persönlichkeit des Kandidaten», bemängelt Rüegger. Darum habe er sich auch entschieden, seine eigene Software auf den Markt zu bringen – «wir messen 25 persönliche Kompetenzen der Kandidaten, um den Menschen als Ganzes zu erfassen».
Manche Firmen dafür, manche dagegen
Eine Firma, die beim Rekrutieren auf digitale Helfer setzt, ist IBM Schweiz. «Nach Eingang der Bewerbung findet ein Abgleich durch eine entsprechende Software statt, die eine Übersicht über die Qualifikationen der Bewerber aufbereitet», sagt IBM-Sprecherin Susan Orozco. Danach würden alle eingegangenen Bewerbungen persönlich durch eine HR-Fachperson geprüft.
Gleichzeitig gibt es auch Arbeitgeber, die die Lebenslaufanalyse bewusst nicht einsetzen. «Wir möchten unsere Mitarbeitenden nicht nach einem bestimmten Muster vorselektionieren», sagt Daniel Sommer, HR-Leiter bei KPMG Schweiz. Diesen wichtigen Schritt wolle man nicht einem automatisierten Prozess überlassen.
20min.ch, November 2016