Kleider machen Leute – dieses Sprichwort gilt auch für das Jobinterview. Aber gibt es heute noch DEN Dresscode für das Bewerbungsgespräch? Wie soll man im Zweifelsfall vorgehen? Sandra Pérez Chitra, Direktorin der Imageberatungsfirma Poll&Mera, hat die Antworten für uns.
Sandra, kann man heutzutage noch vom Dresscode im Bewerbungsgespräch sprechen?
Einen genau definierten Dresscode gibt es nicht mehr. Wie man sich anziehen soll, hängt vor allem vom jeweiligen Unternehmen, seinen Werten und Erwartungen sowie der Branche ab. Aber auch wenn Firmen in derselben Branche tätig sind, können sich die Kleidervorstellungen stark unterscheiden. Bei einigen Banken beispielweise wird erwartet, dass die Kandidaten mit dunklem Anzug, hellem Hemd, klassischen Schuhen und Manschettenknöpfen erscheinen, während andere diesbezüglich toleranter sind.
Was können Kandidaten bei Unsicherheit über die Kleiderwahl tun?
Das Einfachste ist, zu fragen. Wenn man wirklich Fehler vermeiden möchte, dann ist es durchaus möglich, jemanden in der Personalabteilung zu kontaktieren und zu fragen, ob man etwa eine Krawatte tragen soll. Gewöhnlich geben Unternehmen darauf gerne Antwort – das wird oft sogar geschätzt und als Zeichen besonderer Aufmerksamkeit erachtet.
In welchen Sektoren ist der Dresscode nach wie vor sehr streng und wo haben Jobsuchende mehr Freiheit?
Im Verkauf und im Finanzbereich ist der Dresscode noch ziemlich streng. In diesen Branchen sollte man beim Bewerbungsgespräch lieber nicht zu locker oder extravagant auftreten. In technischen Bereichen und in der Informatik ist man viel lockerer, wobei man dennoch nicht zu leger mit Jeans, Turnschuhen und offenem Hemd beim Interview erscheinen sollte. Auch wenn man gewöhnlich ein solches Outfit trägt, so sollte man sich für das Interview dennoch ein bisschen Mühe geben. In kreativen Berufen, wie im Marketing und in der Kommunikation, kann man auch in punkto Outfit kreativer sein. Wichtig ist, dass das Outfit die Persönlichkeit reflektiert und man sich nicht verkleidet. Man soll authentisch bleiben.
Wo kann man Hinweise finden, wie man sich zum Bewerbungsgespräch anziehen soll?
Zum Beispiel, wenn man sich die Fotos der Firmenwebsite des Unternehmens ansieht. Sind die Personen auf den Fotos relativ entspannt, kann man davon ausgehen, dass es nicht unbedingt ein Kostüm oder ein Sakko braucht. Ist im Gegensatz jeder sehr klassisch angezogen, dann sind Krawatte und Anzug sehr ratsam. Das gewählte Outfit beeinflusst vor allem den ersten Eindruck, den sich die Personaler über die Kandidaten machen, auch wenn letztendlich das Gesamtauftreten entscheidend ist.
Wie sollte man denn auftreten, um einen guten Eindruck zu hinterlassen?
Jemand, der sich in seinem Outfit unwohl fühlt, kann nicht sein ganzes Potenzial ausschöpfen. Die non-verbale Kommunikation ist sehr wichtig – diese macht 93% der Botschaft aus. Um für das Bewerbungsgespräch gewappnet zu sein, bedarf es einer guten Vorbereitung. Ich rate meinen Kunden, interessiert zu sein und gewisse Fragen vorzubereiten. Im Interview ist es wichtig, ruhig zu bleiben, aktiv zuzuhören, sich beim Antworten genug Zeit zu lassen und abweisende Gesten zu vermeiden. Ausserdem soll nicht vergessen werden, dass es sich um einen Dialog in beide Richtungen handeln soll.
Was sind die häufigsten Unsicherheiten der Kandidaten und was raten Sie ihnen?
Oft wissen Personen, die zum Jobinterview eingeladen werden, nicht, ob sie bunte Kleider tragen sollen oder nicht, wie lange der Rock sein soll oder ob sie ein Kostüm tragen müssen. Meine Antwort ist, dass nichts ein Muss ist, man aber das Beste geben soll, um im Jobinterview erfolgreich zu sein und dabei authentisch zu bleiben. Es ist besonders wichtig, seine eigenen Werte und jene des Unternehmens zu berücksichtigen. Das gilt auch für das Outfit.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Bei einem Workshop für Führungskräfte auf Arbeitssuche hatte ich die Teilnehmenden gebeten, so zu erscheinen, wie sie dies gewöhnlich beim Bewerbungsgespräch machen. Mir fiel ein Mann auf, der sich in seinem Anzug ganz und gar nicht wohlfühlte. Der Anzug war ausserdem viel zu gross. Im Gespräch erklärte er mir, dass es sich um seinen Hochzeitsanzug handelte und er Anzüge hasste. Daraufhin fragte ich ihn, warum er sich so angezogen hatte und seine Antwort lautete: «Weil ich muss». Ich machte ihm klar, dass ein Anzug nicht unbedingt notwendig ist, sondern dass auch ein Blazer, eine schöne Jeans und ein Hemd ausreichen können. Er befolgte meinen Ratschlag und war daraufhin viel entspannter, lächelte mehr und konnte viel mehr sich selbst sein – was sein gesamtes Auftreten verbesserte.
Hat sich in punkto Kleiderauswahl beim Bewerbungsgespräch in den letzten Jahren viel verändert?
Vor 10 oder 15 Jahren waren Unternehmen diesbezüglich noch strenger. Heute möchten Unternehmen auch authentisch wirken und näher an den Menschen sein. Firmen suchen Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, was sich auch durch eine etwas entspanntere und vielfältigere Kleiderwahl zeigt.
Sandra Perez ist Direktorin des Unternehmens Poll&Mera, welches sie seit August 2016 in Gruyère im Kanton Freiburg betreibt. Poll&Mera ist im Bereich Imageberatung und nonverbaler Kommunikation tätig.
jobs.ch, Mai 2018