Dass auch Unterbeschäftigung und Unterforderung am Arbeitsplatz zum Problem werden können, wird oft tabuisiert. Dabei wäre die Lösung einfach – theoretisch.
Der Begriff «Boreout», ein Zustand ausgesprochener Unterforderung im Arbeitsleben, hat sich inzwischen etabliert. Gesprochen darüber wird dennoch kaum. Nada Endrissat, Dozentin an der Fachhochschule Bern, hat diverse Forschungsarbeiten zum Thema –begleitet.
Sie spricht von zwei Aspekten die man unterscheiden sollte. «Das eine ist die mengenmässige Unterforderung, bei der man nicht die Leistung zeigen kann, die man eigentlich zeigen könnte oder die Performance, die man sich selber zum Ziel gesetzt hat», sagt sie.
Das andere sei die Frage nach der fachlichen Unterforderung, vor allem aber auch nach dem Sinn und der Bedeutung der Arbeit. Immer mehr Mitarbeitende wünschten sich eine Aufgabe, die Sinn stiftet. «Wenn sie das nicht vorfinden, kann auch das zu Langeweile und einem Boreout führen», sagt Endrissat.
Büroangestellte triffts am meisten
Eindrücklich belegen dies Untersuchungen bei US-Soldaten, die im Irak im Einsatz waren. Jene, die ihre Arbeit als bedeutungslos angesehen haben, litten unter Konzentrationsschwierigkeiten und körperlichen Beschwerden.
Forschungen in Unternehmen haben zudem gezeigt, dass weder Monotonie noch Routine zur Langeweile führen, sondern das falsche Anspruchsniveau und fehlende Anerkennung. Betroffen sind vor allem Büroangestellte, nur selten Selbstständige oder Freelancer. Dabei handelt es sich laut Endrissat oft um die «modernen Wissensarbeiter», die sehr gut ausgebildet sind und sich während ihrer Ausbildung mit Problemen auseinander setzen mussten, die viel Eigeninitiative, Wissen und Engagement voraussetzten.
«Im Arbeitskontext finden sie sich dann aber oftmals mit Aufgaben konfrontiert, die eher eintönig und standardisiert sind und wenig Handlungsspielraum geben», erklärt Endrissat. Die Forscher sprechen in diesem Zusammenhang vom «Stupidity Paradox», einer Art unbeabsichtigter Dummheit also.
Diese Dummheit kostet letztlich Milliarden. In den USA gibt es Schätzungen, welche die Folgekosten durch Boreout auf 750 Milliarden Dollar schätzen. In Deutschland werden 124 Milliarden Euro angenommen. Für die Schweiz sind keine Zahlen vorhanden.
Versteckspiel wird zum Stress
Der grösste Stressfaktor bei Langeweile am Arbeitsplatz ist das Verstecken eben dieser Langeweile. «Langeweile ist extrem tabuisiert», sagt auch Andi Zemp, Leitender Psychologe der Privatklinik Wyss in Münchenbuchsee. «Das Tabu bemerken wir schon hier in den Gruppentherapien», erzählt er. Von der Langeweile am Arbeitsplatz zu erzählen, koste die Betroffenen Mut, weil sie Spott und dumme Sprüche fürchteten, so Zemp.
Um ihre Langweile zu verstecken, denken sich die Mitarbeiter zahlreiche Strategien aus, welche die Wissenschaft inzwischen mit Namen versehen hat: Es gibt Flachwalzstrategien, bei denen Arbeit möglichst langsam verrichtet wird, Aktenkofferstrategien, bei denen Arbeit vorgetäuscht wird oder Pseudo-Burnout-Strategien.
Gemeinsam ist allen Strategien, dass sie das Problem verstärken statt lösen. «Statt Überforderungsstress ist es Unterforderungsstress, der aber ebenfalls in einer Erschöpfungsdepression enden kann», beschreibt Endrissat.
Selbstzweifel und Angst
Betroffene sprechen von Angstzuständen aller Art. Er habe das Gefühl, zu verdummen und habe Selbstzweifel und Angst, dass «ich gar nicht mehr weiss, wie arbeiten geht». Dies gab beispielsweise einer der Interviewpartner Preis, der sich für eine beim Springer Verlag erschienene soziologische Analyse zu Boreout befragen liess.
In Andi Zemps Praxis sind es durchgehend ältere Arbeitnehmer, die gegen ein Boreout ankämpfen. «Sie wagen nicht, den Job zu kündigen, weil sie Angst haben, keinen neuen zu finden. Zugleich sind die Lebenshaltungskosten hoch. Viele versuchen die Situation einfach auszusitzen bis zur Pensionierung», sagt Zemp.
Das sei aber genau falsch. Ein Jobwechsel oder eine Pensenreduktion wäre besser. «Wichtig ist, dass man in einer solchen Situation nicht den einzigen Sinn bei der Arbeit sucht, sondern sich beispielsweise in der Freizeit herausfordert», so Zemp. Besser als Vertuschen wäre zudem, offen darüber zu reden – auch mit dem Chef.
20min.ch, Oktober 2017